Anderssein prägt

Gestern teilte ein guter Schulfreund ein paar persönliche Erfahrungen und Gedanken zum Thema Andersartigkeit. Dabei ließ mich eine Passage nicht los, in der er davon sprach, dass jene Andersartigkeit sein Selbstwertgefühl und sein Verhalten maßgeblich beeinflusste- unter anderem in seiner Schulzeit.

Dies erinnerte mich daran, wie auch meine „Andersartigkeit“ hinsichtlich meines Migrationshintergrundes und meiner offensichtlichen Zugehörigkeit zum Islam mich vor allem in der Schulzeit stark beeinflusste. Teilweise entwickelte ich Gewohnheiten und Verhaltensweisen, die aus heutiger Sicht wirklich erschreckend sind und die Frage aufwerfen, wie es sein kann, dass junge Menschen aufgrund gesellschaftlicher Normen und Klischees teilweise erheblich in ihrem Denken und Handeln beeinträchtigt werden.

Gleichzeitig bin ich auch erstaunt darüber, dass ich mich damit noch nie wirklich auseinandergesetzt habe. Denn es gibt nicht wenige Menschen in meinem persönlichem Umfeld, die diese Thematik vermutlich sogar noch viel stärker betrifft als mich. Ich möchte mit meinen Gedanken darauf aufmerksam machen und daran erinnern, dass das, was hier beschrieben wird, noch sehr harmlos ist im Vergleich zu den Geschichten anderer Menschen. Und ich möchte jenen Mut machen, die genau wissen, wovon ich spreche.

Da ich in einer multikulturellen Familie aufgewachsen bin, war ich mir bereits in jungen Jahren in gewisser Art und Weise der „Ausländerproblematik“ bewusst. Ich wusste, dass Ausländern oder Menschen mit Migrationshintergrund oft mit Vorurteilen begegnet wurde und dass es sozusagen ein Nachteil war, Ausländer zu sein- unabhängig davon, ob man wirklich einer war oder als solcher angesehen wurde. Manchmal wurde meine Mutter wegen ihrer Bedeckung als „scheiß Ausländerin“ beleidigt, obwohl sie Deutsche ist. Jene Menschen bekamen zwar immer eine schlagfertige Antwort auf feinstem Hochdeutsch und waren danach ganz ruhig und eingeschüchtert- aber das damit verbundene negative und unanagenehme Gefühl blieb. Jedenfalls: Ausländer zu sein verband ich als Kind in Bezug zu anderen Menschen eher mit etwas Negativem. Ich fühlte mich zwar in meinem persönlichen Umfeld sehr wohl mit meinem Migrationshintergrund und der damit verbundenen Kultur, aber wollte in den Augen anderer nicht als Ausländerin abgestempelt werden. Das war mir irgendwie immer sehr unangenehm und peinlich.

Angefangen hat das ungefähr in der fünften Klasse. Da kam ich auf eine neue Schule und kannte in meiner neuen Klasse niemanden. Es waren noch zwei andere Mädchen mit Kopftuch in meiner Klasse, beide eigentlich ziemlich nett. Ich habe mich aber immer absichtlich von ihnen distanziert und mich nie mit ihnen angefreundet. Tatsächlich habe ich mich am ersten Schultag auch nicht neben sie gesetzt, als sie mich einladend anschauten. Mir war es auch hier unangenehm und peinlich- warum auch immer. Ich glaube, ich hatte ein sehr starkes Bedürfnis, als Individuum angesehen zu werden und nicht in irgendeine pauschalisierende Schublade gesteckt zu werden. Ich wollte auch nicht Teil des Klischees sein, dass Muslime oder Ausländer immer nur unter sich sind. Wahrscheinlich gab es noch zig andere Gründe, an die ich mich nicht mehr erinnern kann.

Woran ich mich noch erinnern kann, ist, dass es mir immer peinlich war, wenn man mich fragte, ob ich Türkin sei. Auch das war in meinen Augen ein Klischee, in das ich unbedingt nicht hinenipassen wollte. Wenn man mich fragte, wo ich „herkomme“, antwortete ich immer stolz, dass ich halb deutsch bin- als wäre mein deutscher Hintergrund etwas besseres und interessanteres als mein arabischer; als müsste ich den Menschen beweisen, dass ich eben nicht zu den „Standardausländern“ gehöre und dass ich etwas Besonderes bin.

Diese Gedanken sind wirklich erschreckend, zumal ich zu diesem Zeitpunkt nicht älter als neun, zehn Jahre alt war. Ich habe tatsächlich noch eine ganze Weile so gedacht, ohne mir dessen bewusst zu sein. Man kann sagen, dass ich die von der Gesellschaft erschaffenen Klischees selbst verinnerlicht habe und verzweifelt versuchte, diese nicht zu erfüllen- egal wie viel Kraft dies kostete.

Dies hat sich später auch in meiner Kleidung widergespiegelt; ich achtete immer darauf, nicht zu lange Kleider und nicht viel Schwarz zu tragen, da dies den Eindruck erwecken könnte, dass ich radikale Überzeugungen habe. Ich erinnere mich auch daran, dass ich mir zum ersten Mal mit 17 Jahren ein bodenlanges, buntes Sommerkleid kaufte und mich nicht traute, es in der Schule anzuziehen- aus Angst vor den Reaktionen und möglichen Fehlschlüssen, die die Schüler und Lehrer ziehen könnten. Es könnte ja verdächtig sein, dass ich auf einmal bodenlange Kleider anziehe… Zum Glück habe ich diese Gedanken heutzutage größtenteils überwunden. Aber ab und zu ertappe ich mich auch heute bei dem Gedanken, dass ein schwarzes bodenlanges Kleid vielleicht doch falsche Assoziationen erwecken könnte..

Eine weitere Gewohnheit, die ich tatsächlich bis heute bei mir beobachte: Egal wie schlecht ich mich fühle, ob ich bedrückt oder traurig bin- ich lasse mir nichts anmerken, wenn fremde Menschen um mich herum sind, damit ich nicht den Eindruck einer unterdrückten, todunglücklichen Muslima erwecke. Es gab einmal eine Situation, in der ich aufgrund dieser Gedanken sehr mit mir zu kämpfen hatte, da es mir emotional nicht gut ging, ich mich aber in einem Zug voller Menschen befand.

Bekanntlich haben Muslime oder Ausländer ja eine Riesenangst vor Hunden und wechseln immer die Straßenseite, wenn sie einen Hund sehen. Dies mag tatsächlich auf überdurchschnittlich viele muslimische oder ausländische Menschen zutreffen, aber das ist höchstwahrscheinlich kulturell bedingt. Um diesem Klischee zu entgegnen, laufe ich bis heute jedes Mal wenn ein Hund sich mir nähert extra nah und unbeeindruckt auf ihn zu und grüße Herrchen und Frauchen mit einem strahlenden Lächeln. Manchmal, wenn der Hund wirklich knuffig ist, frage ich auch, ob ich ihn streicheln darf. Diese Gewohnheit habe ich bis heute noch. Ich finde Hunde aber auch sehr schön und süß, muss ich zugeben.

Gleichzeitig führte mich meine „Andersartigkeit“ zu dem Wunsch, mich in der Schule zu beweisen und vor allem den Lehrern zu zeigen, zu was ich, als Muslima mit Migrationshintergrund, fähig bin. Dies machte sich vor allem im Religions-, Sport- und Deutschunterricht bemerkbar. Dieses leistungsorientierte Denken war nach meinem intrinsischen Interesse für viele Fächer mein größter Antrieb und brachte mir auch gute Noten ein. Man könnte meinen, dass dies positiv ist, aber auch das betrachte ich eher mit kritischen Augen. Ein Mensch sollte niemals lernen, um anderen etwas zu beweisen. Beim Lernen geht es darum, etwas für sich selbst mitzunehmen, den eigenen Wissensdurst zu befriedigen. Lernen aus falschen Motiven verkennt meiner Meinung nach den Wert und das Ziel des Lernens.

Insgesamt war ich, nachdem ich mir meine Gedanken noch einmal durchgelesen habe, von mir selbst erschreckt und schockiert, wie eingenommen ich selbst vor allem als Kind und Jugendliche war. Viele von den beschriebenen Angewohnheiten habe ich für eine sehr lange Zeit gehabt und es ist sehr schwer, solche Zwänge oder Gewohnheiten abzustellen. Dafür benötigt man ein gesundes Selbstbewusstsein. Dies kann sich aber nur entwickeln, wenn man ein entsprechend gesundes und offenes Umfeld hat- seien dies Lehrer, Freunde, Familie oder Bekannte. Ich bin froh und dankbar, dass ich einen Großteil meiner komischen Gewohnheiten überwinden konnte, auch wenn es mir bis heute manchmal echt schwer fällt. Aber nicht jedem fällt dies so leicht und viele junge Menschen da draußen haben wegen solcher gesellschaftlichen Sterotype und Erwartungen große Probleme mit sich selbst, wobei vielmehr die gesellschaftliche Norm und das Denken der großen Masse Ursache dieser Problematik ist. Ich möchte an dieser Stelle nur sagen, dass Andersartigkeit nichts Negatives, nichts Schlechtes ist; vielmehr ist sie eine Bereicherung für alle Menschen und nur dadurch kommen wir als Gemeinschaft weiter.

Und: Andersartigkeit kann auch lehrreich und hilfreich für mich sein. Es ist, wie mein Schulfreund sagte: Genau dieses „Durchkämpfen“, dieses Konfrontiertsein mit Dingen, mit denen die meisten anderen nicht konfrontiert sind, macht mich aus. Und es prägt und stärkt mich auch in vielerlei Hinsicht. Ich muss niemandem außer mir selbst etwas beweisen und kann aus diesen Herausforderungen lernen. Und heute habe ich tatsächlich viel über mich selbst dazugelernt.

2 Gedanken zu „Anderssein prägt“

  1. Sehr schöner Text,
    ich erkenne mich in vielen Sachen wieder die du hier beschrieben hast. Als ich in der Grundschule gefragt wurde, ob ich aus der Türkei komme habe ich nie darauf geantwortet. Da ich der einzige Ausländer in meiner Klasse war, hab ich mich dafür geschämt diese Frage zu beantworten. Ich hatte das Gefühl, dass wenn ich zugebe anders zu sein meine Mitschüler mich nicht akzeptieren würden. Im Nachhinein ein alberner Gedanke 🙂

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