Skip to main content

Bald ist Sommer

„Bald ist Sommer“, pflegt mein Vater immer zu sagen, wenn die Tage nass und kalt sind und wir uns betrübt nach der Wärme und Helligkeit der Sonne sehnen. „Bald ist Sommer“, antworte ich auch immer zurück und finde Trost in der Erkenntnis, dass nach jedem Winter immer auch wieder ein Frühling, ein Sommer folgt. Und glücklicherweise ist es wieder so weit: Der Sommer rückt mit jedem Maitag näher.

Wie ich sie vermisst habe, die Sonne. Die heilende Wärme ihrer Strahlen, die sich an die Haut schmiegen und Optimismus zuflüstern. Die Reflektionen im Wasser und am Himmel, die alles in einen Lichterglanz hüllen. Das satte Bunt-Grün der Bäume und Pflanzen. Der Geruch von frischen Erdbeeren, gemähtem Rasen, Salbei und Lavendel. Der Klang der meisterhaften Vögel, die uns täglich liebevoll ein Konzert vorzwitschern. Ein grillender Baba, eine Rasen mähende Mama, im Garten arbeitende und spielende Geschwister. Das Essen und Reden wird nach draußen verlagert. Energie, Leichtigkeit und Zuversicht- das kann der Sommer so gut geben. Was für eine wundervolle Gabe.

Der Sommer kündigt sich immer lauter an, auch wenn er sich Zeit lässt mit all den Regenmassen und den düsteren Wolkenscharen. Als würden sie ahnen, dass ihre Zeit gekommen ist- sie klammern sich stur an unseren Himmel, wollen nicht loslassen, die Wolken. Doch bald ist Sommer. Bald werden ebenjene Wolken durch die Wärme der Sonne und den frischen Wind zerrissen und vertrieben, um eine neue Jahreszeit anzukündigen.

Es fühlt sich mehr nach Sommer an denn je: Es riecht nach Leben und Hoffnung, fühlt sich nach Heilung und Wärme an. Es schmeckt nach Veränderung und Aufbruch, nach Rebellion gegen Vernichtung und Tod. Es hört sich nach unermüdlichen Stimmen und tosenden Gewittern an. Er sieht nach gen Himmel wachsender Schönheit und vom Himmel herabkommendem Segen aus.

Mehr denn je ist dieser Sommer ein Triumph über die kalte Jahreszeit. Lauter denn je kündigt er sich an, greifbarer denn je ist er geworden in diesen Tagen- Bald ist Sommer, das stimmt Baba. Und ich freue mich wie noch nie auf ihn. Dieser Sommer wird in die Geschichte eingehen, ich spüre es. Jeder spürt es. Wir leben in einem historischen Moment.


„Bald ist Sommer“

„Ich bin stärker als du, akzeptiere es.“

Sprach der Winter zum Korn in der Finsternis.

In den kalten Boden hineingedrückt,

Ohne Luft und Licht, von allem abgeschirmt.

„Wertlos und schwach- ein Nichts, das bist du!“

Rief der Winter voll Spott und Häme ihm zu.

Auf sich gestellt in unterster Schicht

Blieb das Korn ganz ruhig und sagte nichts.

„Warte nur ab, du wirst ganz bald schon sehen.“

Ließ das Korn lächelnd den Hass weiter geschehen.

Es nahm Tropfen und Erde ins Innerste auf

Und nutzte die Waffe zum Vorteil aus.

„Dein Hass macht mich stärker, er besiegt mich nicht“,

sprach das Korn geduldig, wartend auf Licht.

Und als es dann kam, da brach das Korn aus,

erst aus der Hülle- dann aus der Erde heraus.

„Ich hab dich begraben, ertränkt und erstickt,

wie kann es sein, dass du immer noch sprichst?“

Der Winter konnte nicht fassen, was er da sah:

Das Korn wurd‘ ein Pflänzchen, trotz all der Drangsal.

„Dein Hass macht mich stärker, er besiegt mich nicht,

früher oder später gewinnt immer das Licht.“

Das Pflänzchen wuchs trotz und durch Regen weiter,

wurde immer höher und immer breiter.

Und mit dem Pflänzchen wuchsen tausende mehr,

sie alle setzten sich dem Hochmut zur Wehr.

Und so kam der Tag an dem der Sommer erwachte

und den Winter entschieden zunichte machte.

Das Pflänzchen wuchs zur starken Pflanze heran,

mit schillernden Blüten ein Schönheitsgesang.

Ein Lied der Freiheit und Gerechtigkeit-

Es heißt: Das Korn des Lebens wird befreit!

Ein Gedanke zu „Bald ist Sommer“

  1. „Man muss den Dingen
    die eigene, stille
    ungestörte Entwicklung lassen,
    die tief von innen kommt
    und durch nichts gedrängt
    oder beschleunigt werden kann,
    alles ist austragen – und dann gebären…

    Reifen wie der Baum,
    der seine Säfte nicht drängt
    und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,
    ohne Angst,
    dass dahinter kein Sommer kommen könnte.

    Er kommt doch!
    Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
    die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,
    so sorglos, still und weit…

    Man muss Geduld haben
    Mit dem Ungelösten im Herzen,
    und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
    wie verschlossene Stuben,
    und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache
    geschrieben sind.

    Es handelt sich darum, alles zu leben.
    Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich,
    ohne es zu merken,
    eines fremden Tages
    in die Antworten hinein.“

    —Rainer Maria Rilke

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.