Begegnungen am Philosophie-Regal: Teil I

Was man nicht alles an Erinnerungen und verloren geglaubten Dingen wiederfindet, wenn man umzieht und seine Besitztümer einmal vor sich ausgebreitet sieht! So ging es mir mehrmals, als ich vor einigen Wochen meine Regale leer räumte und all meine Habseligkeiten in etliche Umzugskartons füllte. Es ist erstaunlich, wie viele Dinge da zusammengekommen sind. Und das, obwohl ich eigentlich immer der Überzeugung war, schon relativ minimalistisch zu leben. Relativ ist hier wohl das richtige Wort. Und hängt signifikant damit zusammen, unter welchen Umständen man lebt und wie privilegiert man hinsichtlich Zeit und Geld ist. Jedenfalls ist mir aufgefallen, dass ich immer noch ziemlich viele überflüssige Dinge besitze- ein spannendes Thema, mit dem ich mich in Zukunft näher auseinandersetzen möchte. In diesem Post soll es um ein Erlebnis gehen, das mir während des Ein- und Auspackens wieder in den Sinn kam und eine warme Erinnerung hervorbrachte.

Als ich dabei war, mein Bücherregal auszuräumen, stieß ich auf ein Buch, das ich seit Langem nicht mehr in die Hand genommen hatte. Es handelt sich dabei um eine philosophische Schrift eines bekannten saarländischen Philosophen namens Peter Wust- ein Geschenk, das mich immer wieder daran erinnert, zu welch schönen, spontanen Erlebnissen alltägliche Situationen führen können.

Folgende Geschichte steckt dahinter:

In den letzten zwei Jahren meiner Schulzeit ging ich in den Freistunden ab und zu in eine nahegelegene Buchhandlung und schaute mir die Bücher an, die dort verkauft wurden. Zu dieser Zeit interessierte mich vor allem die kleine Philosophie-Abteilung, in der regelmäßig neue Werke erschienen. Es kam nicht selten vor, dass ich die Buchhandlung mit ein, zwei neuen Schätzen und einem aufgeregten Lächeln verließ. Meistens waren es diese kleinen gelben Reclam-Büchlein, denn diese waren angenehm kurz und erschwinglich. Dies ging einige Wochen so weiter, bis mich eines Tages ein älterer Herr, der in der Buchhandlung arbeitete und für die Abteilung zuständig war, mit einem freundlichen Lächeln fragte, welche Bücher ich mir diesmal anschaue. Ihm muss wohl aufgefallen sein, dass immer wieder dieselbe Schülerin neugierig vor dem sonst nicht so stark besuchten Philosophie-Regal steht und in den Büchern herumstöbert. Ich zeigte ihm daraufhin das Buch, das ich in der Hand hielt und wir kamen in ein ziemlich langes, inspirierendes Gespräch über Gott und die Welt. Es stellte sich heraus, dass er studierter Philosoph war, eine (naheliegende) Faszination für Bücher hegte und sich dementsprechend sehr gut mit der philosophischen Literatur auskannte. In der Buchhandlung arbeitete er bereits seit mehreren Jahren oder gar Jahrzehnten.

Und so entwickelte sich nach diesem ersten Gespräch eine gewisse Verbindung, die bei jeder weiteren Begegnung zu einem neuen, bereichernden Austausch führte: Abhängig von den Büchern, die ich mir anschaute, diskutierten wir über unterschiedlichste Themen der Philosophie: von Platons Ideenlehre über Heideggers Existentialismus bis hin zur Ethik Kants. Auch über das Philosophiestudium unterhielten wir uns. Manchmal war es so spannend, dass wir beide die Zeit vergaßen und 30 Minuten später noch immer mit Büchern beladen begeistert inmitten der Buchhandlung standen. Eines Tages kamen wir auch auf Religions- und Kulturphilosophie zu sprechen. In diesem Zusammenhang stellte der „Büchermann“ mir Peter Wust vor, der eine interessante christliche Existenzphilosophie entwickelt hatte und von dem er augenscheinlich viel hielt.

Als ich etwa zwei Wochen später noch einmal in der Buchhandlung war, kam er mit einer Tüte auf mich zu, die er mir mit einem Lächeln überreichte. Darin befanden sich zwei Bände zu Wusts Philosophie. „Zum Lesen, falls es dich interessiert.“ Ich war erstaunt und überwältigt von der Nettigkeit dieses Herrn und konnte kaum glauben, dass er sich an das Gespräch erinnerte und Bücher für eine fremde Schülerin einpackte, die sich ab und zu in der Buchhandlung umschaute. Ich war wirklich gerührt über diese Geste. Nach ein paar gestammelten Worten der Dankbarkeit nahm ich die Bücher mit nach Hause, las sie und packte sie einige Monate später wieder ein, um sie dem älteren Herrn wieder zurückzugeben. Nach einigen Anläufen begegneten wir uns schließlich wieder auf der Etage der Philosophieabteilung. Er schaute mich irritiert an, als ich die Tüte mit den Büchern vorstreckte und erklärte lachend, dass die Bücher selbstverständlich ein Geschenk waren und ich sie behalten könne. Also nahm ich die Bücher wieder mit und war ein zweites Mal erstaunt über die Nettigkeit des Büchermanns.

Und so fanden die Bücher eines saarländischen Philosophen, über den ich vermutlich sonst nie etwas gelernt hätte, in mein Bücherregal. Und nicht nur die sind in mein Regal eingezogen, sondern gleichzeitig auch eine Erinnerung daran, wie schön die Welt sein kann, wenn Menschen offenherzig sind und einander inspirieren, unterstützen. Wir brauchen mehr davon.

Nach meinem Abitur war ich nur noch selten in der Buchhandlung und erfuhr nach einiger Zeit, dass der Büchermann mittlerweile in seinen verdienten Ruhestand gegangen ist. Jedenfalls hat er sich durch seine herzliche Art in Form einer schönen Erinnerung in meinem Bücherregal verewigt. 😊

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