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Wenn zwei Buchstaben verbinden

Die derzeitige pandemiebedingte Isolation lässt mich immer öfter an jene Tage zurückdenken, die von schönem Beisammensein, von Familienfesten, Seminaren mit Freunden und spirituellen Zusammenkünften geprägt sind. Ich vermisse all das und habe durch die Pandemie erst zu schätzen gelernt, wie wichtig das Pflegen sozialer Kontakte ist und wie unheimlich gut es tut, regelmäßig mit Familie, Freunden und auch unbekannten Menschen zusammenzukommen. Es passieren dabei einfach lehrreiche, spirituelle und auch sehr bedeutsame Dinge. Heute, als ich mir die Rezitation meiner Lieblingssure anhörte, kam mir genau solch ein Erlebnis wieder in den Sinn. Die Sure TaHa erzählt unter anderem die Geschichte des Propheten Moses, dem Gott Sich offenbart, zu ihm spricht- und seine Liebe und Unterstützung in schweren Situationen zeigt. Sie ist auf eine rührende und unglaublich liebevolle Art und Weise erzählt und erinnert mich daran, dass Gottes Wesen von unglaublicher Liebe und Barmherzigkeit seinen Geschöpfen gegenüber ausgezeichnet ist und dass Er seinen Geschöpfen in schweren Momenten nicht alleine lässt und sie unterstützt, wenn man sich bittend an Ihn wendet und Ihn als Herrn, als Erhabenen anerkennt.

Seit einiger Zeit verbinde ich diese Sure immer mit einer bestimmten Person, die ich zwar gar nicht so gut kenne, aber mit der ich mich seitdem sehr verbunden fühle- über ein Band der Liebe zu dieser Sure, über eine unbeschreibliche Verbindung, die entsteht, wenn Gott einem das Geschenk einer wundersamen Begegnung gewährt.

Ramadan 2019. Ich nahm gemeinsam mit ca. 20 anderen Stipendiaten des Avicenna Studienwerkes an einem Itikaaf-Wochenende in den letzten zehn Tagen des Ramadans teil. Dafür reisten wir für vier Tage in eine abgelegene Herberge und verbrachten die Zeit in gemeinsamer spiritueller Zurückgezogenheit, in Fasten, Gedenken und Gebet- in einer konfessionsübergreifenden Gemeinschaft.

Ich glaube, es war der vorletzte oder der letzte Abend, an dem sich zur Abenddämmerung die ersten für das kurze Fastenbrechen mit Dattel und Suppe und das anschließende Abendgebet vorbereiteten und sich nach und nach in Richtung Waschräume und Essensraum begaben. Ich blieb in unserem Aufenthaltsraum und entschied mich dazu, diesmal nicht mit den anderen in den Essenssaal zu gehen und dort auf das Gebet und auf meine Fastenbrechenszeit, die sich um ungefähr zwanzig Minuten unterschied, zu warten. Ich wollte die Zeit allein nutzen, um noch einmal in mich zu kehren und ein wenig Koran zu rezitieren. Um mich meiner Lieblingssure zu widmen und diese im sonst leeren Raum mit voller Inbrunst zu rezitieren. Ich fing also an. Nach kurzer Zeit öffnete sich die Tür; jemand sah herein und setzte sich dann leise zu mir. Sena (so nenne ich sie hier) schnappte sich ihren Koran und fragte mich, ob sie mitlesen dürfe. Ich bejahte und so lasen wir immer abwechselnd Seite für Seite jener Sure, mit der wir beide -so stellte sich heraus- etwas ganz besonderes verbanden. Und so kamen wir in einen „Flow“ und vergaßen die Zeit; wir lasen und lasen und mit jedem Wort verband uns immer mehr die Faszination, die Liebe für das Schöne und Göttliche. Ich weiß nicht mehr, wann und wie wir aufgehört haben; auch sonst weiß ich nur noch sehr wenig Details über diesen besonderen Moment. Geblieben ist nur die warme Erinnerung daran und an die emotionale, lange Umarmung, die daraufhin folgte. Während die anderen ihr Fasten brachen, saßen wir in der hintersten Ecke auf dem Teppichboden des Raumes, der nur von einer Leselampe beleuchtet wurde und vergaßen die Zeit, das Essen, die jeweils andere. In diesen Minuten spürte ich so stark und eindringlich wie noch nie, wie sehr die Botschaft Gottes vereint- über Konfessionen hinweg, über verschiedene Hintergründe hinweg, über alle Grenzen hinweg. Jedenfalls waren wir beide nach dieser Erfahrung gerührt und sprachlos und spürten beide, dass etwas sehr besonderes passiert war. Wir sprachen auch noch einige Minuten darüber, ehe wir mit zittrigen Händen und verweintem Gesicht zu den anderen stießen und gemeinsam beteten.

Bis heute werde ich sehr emotional, wenn ich an diesen Moment denke. Und ich glaube, Sena geht es nicht anders. Ich denke oft an sie, auch wenn wir nicht so oft Kontakt miteinander haben. Da gibt es nun diese Verbindung, die dazu führt, dass ich fast immer an sie denken muss, wenn ich Sure TaHa lese. Auch sie muss immer an mich denken, wenn sie diese Sure liest, hat sie mir erzählt. Die Sure, die mit zwei Buchstaben beginnt. Es waren diese zwei Buchstaben, die uns zusammenbrachten. Und es ist gleichzeitig auch ein Name des geheiligten Propheten Muhammad, unter dem alle Muslime- egal welcher Konfession- vereint sind. Und so ist diese sehr persönliche Erinnerung, die ich hier teile, auch ein Beispiel, ein Appell an uns Muslime. Lebt die Gemeinschaft und predigt sie nicht nur. Besucht Moscheen und Gemeinden anderer Konfessionen. Seid offenen Herzens und lernt voneinander! Und vor allem: gedenkt und betet in Einheit zum Einen, der uns in Vielfalt geschaffen und auch darin ein Zeichen gelegt hat.

Und so schließe ich Sena, die auf ihr Fastenbrechen verzichtete und sich stattdessen zu mir setzte, um den Koran zu rezitieren, immer, wenn ich an sie denke, in meine Bittgebete ein und danke dem Herrn für diesen unbeschreiblichen und wundersamen Moment…

Alhamdulillah. Alles Lob und aller Dank gebührt dem Erhabenen, dem Barmherzigen.

 

2 Gedanken zu „Wenn zwei Buchstaben verbinden“

  1. Mashallah. Beim lesen dieser Worte wünschte ich mir diese Geschichte endet nie, so lebhaft ist sie erzählt. Ich bin sehr gerührt (Gänsehaut beim Lesen) und danke dir dafür, dass du diese Erfahrung mit deinen Mitmenschen teilst und eine wunderschöne und wichtige Intention daraus schließt.

    Möge Allah dich und diese nun verewigte Geschichte viele Menschen erreichen und inspirieren.

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